Wissenschafts-Journalist
Gerald Traufetter
ist Redakteur beim
SPIEGEL in Hamburg.
Er hat den Fotografen
Marc Steinmetz zu
seiner Arbeit befragt

Marc, Du bist vor allem für Deine Wissenschaftsfotografie bekannt. Was fasziniert Dich an Wissenschaft?
     Ich war immer schon neugierig, und meine Eltern haben das gefördert. Als Kind hatte ich ein kleines Mikroskop und ein Teleskop. Damit habe ich herumexperimentiert und die Welt entdeckt. Die Berufswünsche Astronom und Chemiker gab ich aber noch während der Schulzeit auf, als es mir zu theoretisch wurde. In Chemie bin ich bei der Elektronenkonvergenz ausgestiegen – die steht nicht mal in meinem Lexikon! Mein Interesse geht eher in die Breite.

Aber Du versuchst schon, die Dinge, die Du fotografierst, auch zu verstehen?
     Auf jeden Fall. Schließlich siehst du nur, was du weißt. Ohne die Zusammenhänge zu kennen hast du keine Handhabe, komplizierte Dinge verständlich darzustellen.

Wie findest Du Deine Motive, wenn Du ein Thema bearbeitest?
     Im Idealfall habe ich vorher genug Zeit, das Thema zu recherchieren. Bevor ich irgendetwas gesehen habe, lege ich mir dann eine Wunschliste von Motiven an, die ich zur Illustration des Themas brauche. Dieses vorläufige Bild meiner Geschichte trage ich dann mit „ins Feld” und ergänze es durch die anderen Motive, die sich vor Ort ergeben.
     Unterwegs kann ich nachts oft nicht richtig abschalten: Ich überlege dann, was fehlt, oder wie ich etwas noch besser hinkriege.

Wissenschaft bietet häufig triste Motive. Gibt es dennoch Möglichkeiten, von der profanen Realität in Labors gute Bilder zu machen?
     Spannende Blickwinkel, extreme Optiken sind immer gut. Ich verwende gern kurze Brennweiten, um kleine Dinge prominent in den Vordergrund zu rücken. Licht ist ein äußerst wichtiger Bestandteil der Trickkiste. Es hilft Dinge zu akzentuieren, den Raum zu erweitern oder zu verengen, oder die Dinge buchstäblich in einem anderen Licht zu zeigen. Mit Nachtaufnahmen und langen Belichtungszeiten lassen sich ebenfalls verblüffende Effekte erzielen.

Viele Wissenschaftsfotos sind inszeniert: Bis zu welchem Punkt darf ein Fotograf gehen?
     Eine Inszenierung soll realistisch bleiben. Dabei darf man ruhig ehrlich sein und den Betrachter spüren lassen, daß es sich um eine solche handelt.
     Man kann es damit aber auch übertreiben: Ende der Achtziger etablierte sich der Trend, Wissenschaftsfotos poppig auszuleuchten, so daß jeder glaubte, die Forscher arbeiten in der Disco. Solche Bilder zu machen ist nicht schwer, und ich muß zugeben, daß das auch für mich ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung war. Aber inzwischen sehen viele, daß ein Foto nicht immer bunt sein muß, um interessant zu sein. Ich möchte intelligente Bilder machen, keine poppig-künstlichen.

Eine Inszenierung erfordert viel Zeit. Wie bringst Du die Menschen dazu, mitzumachen und ihre Zeit zu opfern?
     Das kann für die Beteiligten tatsächlich zur Geduldsprobe werden, aber ich versuche, ihren Aufwand auf ein erträgliches Maß zu beschränken. Zuerst spreche ich mit ihnen und lasse mich herumführen. Danach kann ich meine Bilder meist stundenlang alleine vorbereiten – Perspektive wählen, Licht bauen – ohne jemanden in Anspruch zu nehmen.
     Wenn es schließlich zum eigentlichen Foto kommt und jemand posieren muß, dann geht das in der Regel in einer halben Stunde über die Bühne, das hält man noch gut aus. Und die meisten haben auch Verständnis dafür, daß gute Fotografie einfach Zeit braucht.

Was sind Deine Lieblingseinsätze? Welche Themen machen Dir am meisten Spaß?
     Mir macht vieles Spaß, aber ich freue mich immer über Jobs, bei denen ich spontan arbeiten kann. Wo ich meine Ausrüstung mit mir herumtragen kann und beweglich bin. Fototasche und Stativ am Mann, ein paar Objektive, zwei Kameras, und dann los.
     Meine Reportage über Karakorum, die alte Hauptstadt von Dschingis Khan, funktionierte über weite Teile so. Wenn Du drei dicke Alu-Koffer und zwei Stativtaschen mit Dir herumfährst, bist Du furchtbar unflexibel und unbeweglich.

Du hast immer ein Notizbuch dabei. Was steht da drin?
     Das gehört zu den wichtigsten Utensilien. Zu jedem Bild, das ich mache, notiere ich die wesentlichen inhaltlichen Informationen.
     Ich halte mich nur bei heiklen Schüssen damit auf, Belichtungsdaten zu notieren. Was interessiert es mich später mal, bei welcher Blende ein Motiv aufgenommen wurde?

Sind da auch schon Deine Ideen und Deine Wunschliste drin?
     Ja. Wenn ich einen neuen Job anfange, dann stelle ich noch vor den Seiten mit Adressen, Telefonnummern, Ansprechpartnern eine Liste mit meinen Wunschmotiven auf.

Ist das Abenteuer auf freiem Feld für Dich ein sehr wichtiges Aufgabengebiet?
     Unbedingt, dabei entstehen in der Regel lebendigere Bilder. Bei der inszenierten Wissenschaftsfotografie läuft man immer Gefahr, ein Bild zu Tode zu inszenieren. Ich fotografiere sehr gerne in unverstellten Situationen.

Wie passen diese beiden Dinge zusammen: Deine Reportagen einerseits, und Deine bis ins Detail inszenierten Fotos aus Laboren andererseits?
     Das ergänzt sich. Es gibt eine einfache Richtschnur dafür, mit welchem Aufwand ich an die Arbeit gehe: Wenn ein Motiv ohne Manipulation spannend ist, dann fotografiere ich es auch so. Vieles – insbesondere in den Labors – ist aber ohne Inszenierung schlicht nicht interessant ins Bild zu setzen.
     Da gibt es Situationen, wo Du als Fotograf verzweifelst, weil da nur graue Kästen herumstehen, oder langweilige PCs.

Sind solche Situationen eine Herausforderung für Dich?
     Allerdings! Aber wenn ich nur inszenierte Fotografie machen könnte, würde ich auf die Dauer den Spaß an der Sache verlieren und in Schemata hineinrutschen. Abwechslung zwischen diesen beiden Herangehensweisen ist durchaus gesund, das hält mich frisch.

Aber es scheint schon so, als seist Du ein ziemlicher Tüftler.
     Klar, wenn man Wissenschaft perfekt fotografieren und eine bestimmte Vorstellung von einem Motiv realisieren will, dann muß man mitunter tüfteln. Ein Beispiel: Es gibt ein Bild aus meiner GEO-Reportage über die Stiftung Warentest. Da ging es um den Crashtest, mit dem Kindersitze getestet werden. Ich wollte den Dummy im Inneren der Testkarosserie genau im Moment des Aufpralls zeigen. Der Test läuft aber bei 50 km/h ab, das kannst du nicht mitmachen, ohne Leben und Material zu riskieren. Da fängst du an, mit Blitzen und Lämpchen zu tüfteln, mit Nylonfäden, Gummiseil und Umlenkrollen, um mit einer simulierten Bewegung den Eindruck eines dramatischen Aufpralls einzufrieren. In Fällen wie diesem geht es darum, einen Vorgang zwar zu simulieren, aber trotz allem realistisch darzustellen.
     Wenn dann mein Bild authentischer wirkt als die Realität und dazu noch toll aussieht, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Bist Du eigentlich Perfektionist?
     Ja, aber nicht genug. Es gibt immer wieder Bilder, bei denen ich mich hinterher ärgere, nicht besser aufgepaßt zu habe, weil man beispielsweise irgendwo noch einen dünnen Nylonfaden ahnt, den ich gespannt habe…

Ist das nicht das Wesen des Perfektionisten, daß er nie zufrieden ist?
     Wenn das stimmt, muß ich wohl einer sein. Ich bin nur ganz selten wirklich zufrieden mit dem Resultat meiner Arbeit.

Siehst Du das als Nachteil?
     Gar nicht, das hält mich auf Trab. Zu früh zufrieden zu sein bedeutet Stillstand. Habe ich dagegen immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein, treibt mich das ständig an, an mir zu arbeiten, um besser zu werden. Oftmals zum Preis schlafloser Nächte.

Was war Dein bisher kniffligster Job?
     Schwer zu sagen, die meisten Wissenschaftsjobs haben es ganz schön in sich.  Aber ich glaube, die Puten kriegen den ersten Preis: Ich sollte für GEO Bronzeputen fotografieren, und zwar richtig groß und als Freisteller, also vor weißem Hintergrund. Bei der Recherche lachte mich ein Züchter aus; er hielt es für völlig unmöglich, die Tiere mit Blitzbeleuchtung im Studio zu fotografieren, die würden sofort kirre werden.

Wie hast Du das Problem gelöst?
     Ich habe ein kleines Studio aufgebaut, direkt auf dem Geflügelhof. Zuerst versuchte ich, die Tiere – 11 waren es insgesamt – einzeln zu fotografieren, aber die Hähne wurden in der Tat sehr schnell unruhig und sannen auf Flucht. Einer hielt sogar den schwarzen Rand der Softbox für eine Stange, auf der er sitzen kann und versuchte darauf zu landen. Da brach natürlich alles zusammen unter dem 15 kg schweren Vogel, und er saß völlig verdattert inmitten der Trümmer.
     Meine Assistentin hatte schließlich die rettende Idee, den Hähnen noch eine junge Henne mit ins Gehege zu setzen. Die wirkte beruhigend auf die Gockel und brachte sie in Balzstimmung.
     „Kurt”, der schönste Bronzeputer Schleswig-Holsteins, war noch schwieriger. Wegen seines Freiheitsdranges konnte ich ihn nur im Käfig fotografieren, durch eine kleine Luke hindurch. Kurt war partout nicht zum Balzen zu bewegen. Da half kein Trick, Kurt blieb cool. Die ganzen zwei Tage.

Und was war das abenteuerlichste?
     Für die Reportage über die Elblotsen 15 m hohe Bordwände hinaufzuklabastern – bei Seegang, auf einer schwankenden Strickleiter – und dabei auch noch zu fotografieren, war sicherlich ein Abenteuer.
     Abenteuerlich war auch die Sache mit den Hunden in Karakorum: Ich mußte mit einer fünfköpfigen Hundemeute kämpfen!
     Das sind Momente, wo man über sich selbst hinauswächst und sich später wundert, wie man damit fertig geworden ist.
     Auch die Grönland-Geschichte, die wir beide für den SPIEGEL gemacht haben, fand ich ziemlich spannend: Der Hinflug aufs Inlandeis mit der „Hercules”, der unglaubliche Streß vor Ort, die Kälte im Eislabor…

… bei der Dir die Batterien eingefroren sind…
     Das hat mich nicht wirklich gehandicapt. Ich arbeite mit manuellen Kameras, die auch ohne Batterien funktionieren. Da reicht es, den Motor abzuschrauben, um weitermachen zu können.
     Pannen gehören zum Alltag. Während einer aufwendigen Nachtaufnahme in Karakorum ist mir mein Funkauslöser verreckt, und ich mußte überlegen: Wie zünde ich jetzt meine Blitze? Da ist es hilfreich, wenn man noch ein paar Trümpfe im Ärmel hat und sich technisch zu helfen weiß. Improvisieren und Tüfteln muß man immer wieder. Ein bißchen Aufregung gehört dazu und macht Spaß.
     Das ist einer der Gründe, weswegen ich Fotograf geworden bin: Man sieht und erlebt außergewöhnliche Dinge, die man sonst nicht sehen und erleben würde, kommt an Orte, wo man sonst nie hinkäme, hat interessante Begegnungen…

Du warst vorher Grafiker. Ist das nicht der komplette Gegensatz zur Arbeit des Fotografen draußen im Felde?
     Der Wunsch, Fotografie zu machen, war zuerst da; die Grafik war eher eine Notlösung. Mit dem Wechsel zur Fotografie hat sich schließlich ein Kreis geschlossen.
     Ich sehe da gar keinen Gegensatz; die beiden Felder ergänzen sich wunderbar: Als Fotograf profitiere ich enorm von meiner grafischen Ausbildung! 

Wie hast Du den Wechsel angestellt?
     Als unbekannter Fotograf brauchst du zuerst mindestens eine gute Reportage, mit der Du Dich in den Bildredaktionen sehen lassen kannst. Ich wählte mir als Thema das Deutsche Museum in München, was für mich mehrere Vorteile hatte. Zum einen lag es in der Nähe, das sparte Reisespesen. Und zum anderen konnte ich über Monate jeden Tag intensiv dort arbeiten und jederzeit wiederholen, was schiefgegangen war: Meine Motive liefen ja nicht weg.
     Ich mußte erst mit der neuen Blitztechnik umgehen lernen, die ich mir angeschafft hatte, und da geht zwangsläufig am Anfang vieles schief. Ich habe auch zuviel unwesentliches fotografiert. Heute würde ich das völlig anders angehen. Damals fehlte mir noch das Gespür für das wirklich wichtige.

Aber Du hattest offenbar Erfolg mit der Geschichte…
     Ja, sie hat mir das Entrée bei „Focus” im Ressort Forschung und Technik verschafft. Carola Mink, die damals Bildredakteurin dort war, gefielen meine Arbeiten, und sie gab mir meinen ersten bezahlten Auftrag als Fotograf.

Wie ging es dann weiter?
     Im Radio hörte ich einen Beitrag über den Anatomen Gunther von Hagens, den Erfinder der Plastination. Es gelang mir, „Focus” zu überzeugen, mich das fotografieren zu lassen.
     Und dann hatte ich das unverschämte Glück, für diese Reportage mit gleich zwei World Press Photo Preisen ausgezeichnet zu werden. Zwar konnte ich nach knapp zwei Jahren von der Fotografie leben, aber erst diese Preise waren der Durchbruch. Von da an kamen auch Aufträge von neuen Kunden, ohne daß ich Klinken putzen mußte. Und von da an wurde ich auch bei GEO ernst genommen und bekam einen Fuß in die Tür.

Neben der Reportage und der Wissenschaftsfotografie gibt es noch eine dritte Säule Deiner Arbeit. Um was geht es Dir da?
     Um die pure Lust am Skurrilen, um Spaß, um Humor. Da tobe ich mich hin und wieder aus, wenn mir der Schalk im Nacken sitzt.
     Für das SZ-Magazin habe ich drei solche Possen fotografiert: Lebensräume, Fluchtstücke und Grabungsfunde. 

Hast Du einen eigenen, unverwechselbaren Stil?
     Ich selber leugne das immer, aber es gibt durchaus Stimmen, die mir da widersprechen. Ich weiß nicht, ob man das einen Stil nennen kann, aber ich möchte vor allem spannende Bilder machen, die sich abheben von denen, die man kennt, Bilder, die intelligent sind.
     So bin ich auch davon abgekommen, alles bunt auszuleuchten, wie ich das am Anfang getan habe: Im ersten Edit der Reportage über das Deutsche Museum z.B. waren lauter quietschbunt ausgeleuchtete Bilder, die eigentlich mit dem Deutschen Museum nicht viel zu tun hatten. Die Auswahl, die hier auf der Website zu sehen ist, ist wesentlich authentischer.

Was finden andere typisch an Deinen Bildern?
     Eine gewisse Klarheit in Farbigkeit und Bildaufbau. Wenn das mein persönlicher Stil ist, dann habe ich ihn nicht bewußt gesucht, sondern er hat sich ganz selbstverständlich ergeben. Da zeigt sich wohl der Grafiker…

Was hast Du gegen eine unverwechselbare Bildsprache?
     Ich finde einen persönlichen Stil nicht per se negativ. Manchmal bin ich verblüfft, daß man die Bilder einiger exzellenter Fotografen sofort erkennt und frage mich, woran das liegt.
     Aber ich selbst möchte offen genug sein, jedes Bild so zu gestalten, wie ich es in dem Moment für richtig halte. Ich habe Angst, daß mich eine zementierte Bildsprache auf eine bestimmte Art der Fotografie festlegt, denn die Gefahr, mit einer zu modischen Bildsprache nach fünf Jahren wieder out zu sein, ist groß.
     Vor allem in der journalistischen Fotografie ist es wichtiger, daß das Motiv im Vordergrund steht und nicht der Stil des Fotografen.
     Was ist interessanter: das Geschehen vor der Kamera? Oder das dahinter?