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Als ich vier oder fünf Jahre alt war, hatte mein
Vater drei Augen: zwei eigene, völlig gesunde,
und ein drittes, von dem ich nicht wußte.
Eines Tages beeindruckte er mich kolossal,
indem er sich ans Auge griff, umständlich
daran herumfingerte und mir dann mit
zugekniffenem Lid dieses Auge auf der Hand
präsentierte, als hätte er es sich gerade aus
dem Gesicht gepult. Toll: ein Auge, das man
herausnehmen kann! Bloß komisch, daß das
nicht auch bei mir funktionierte. Ich brauchte
Jahre, bis ich dahinterkam, daß er mich mit
einem Glasauge verarscht hatte. Er erinnert
sich heute gar nicht mehr an die Episode, und
das einzige Beweisstück ist verschollen.
Dennoch hat dieses Erlebnis mich geprägt,
so daß ich mich Jahrzehnte später fragte:
Wie werden eigentlich Glasaugen gemacht?
Ein wunderbar schräges Thema, das ich
unbedingt fotografieren wollte. Ein Anruf beim
Augenarzt brachte mich auf die Spur eines
Ocularisten in meiner Nähe: Alfred Greiner
mit seinem Münchener Institut für künstliche
Augen.
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Der 75jährige Greiner stellt bereits in dritter
Generation Kunstaugen aus Glas her. Schon
Vater und Großvater übten diese Profession
aus, sein Sohn und Praxispartner Gerhard
führt die Tradition fort.
Greiner übt seine bizarre Tätigkeit
trotz
seines Alters mit beeindruckender Sicherheit
und Liebe zum Detail aus. Sie erfordert eine
siebenjährige Lehrzeit, manuelles Geschick
und großes Einfühlungsvermögen. Mancher
Patient reist weit, um sich von Greiner ein
neues Glasauge anfertigen zu lassen. Eine
Patientin fliegt alle paar Jahre eigens aus
Argentinien ein, wenn sie eine neue Prothese
benötigt.
Um aus den Grundmaterialien (Röhren
aus
weißem Kryolithglas, Kristallglasstäben und
farbigen Glasstäben) Kunstaugen zu fertigen,
braucht Greiner nur wenig Werkzeug, das
mitunter schon mehrere Generationen alt ist:
Gasbrenner, diverse Spezialzangen, einen
Stechzirkel, ein paar Tiegelchen. All das
sieht denkbar einfach aus und hat Platz auf
einem kleinen Arbeitstisch.
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